Ein Yankee am Hofe des Königs Artus

von Mark Twain

 

Verlag: Insel Taschenbuch

 

Leseprobe

Dann gelangten wir mit einem Mal wieder ins helle Tageslicht. Als wir ungefähr beim dritten, vierten oder fünften Mal wieder im Sonnenlicht hinaustrabten – irgendwo unterwegs, etwa zwei Stunden nach Sonnenaufgang – war es nicht mehr so angenehm wie vorher. Es wurde allmählich heiß. Das machte sich sehr stark bemerkbar. Wir hatten jetzt eine lange Strecke ganz ohne Schatten vor uns. Es ist merkwürdig, wie nach und nach kleine Unannehmlichkeiten zunehmen und sich vervielfachen, wenn sie einmal begonnen haben. Manches, das ich anfangs gar nicht beachtet hatte, wurde mir nun lästig und zunehmend lästiger. Die ersten zehn, fünfzehn Mal, an denen ich mein Taschentuch nehmen wollte, machten mir noch nicht viel aus; ich kam auch so zurecht – sagte mir, es sei nicht so wichtig und machte mir keine Gedanken mehr darüber. Aber jetzt war es anders: Ich brauchte es andauernd, der Wunsch danach plagte mich ununterbrochen, meine Gedanken drehten sich nur noch darum; schließlich verlor ich die Geduld und fluchte auf den Kerl, der es fertig brachte, eine Rüstung ohne Taschen herzustellen. Ich hatte nämlich mein Taschentuch in den Helm gesteckt, aber es war die Sorte Helm, die man nicht allein abnehmen kann. Als ich ihn aufsetzte, hatte ich daran nicht gedacht und hatte es auch nicht gewusst. Ich hatte angenommen, es wäre dort besonders gut zu erreichen. Deshalb machte jetzt der Gedanke, dass es dort nahe und griffbereit steckte, alles nur noch schlimmer und unerträglicher. Ja, was man nicht bekommen kann, wünscht man sich im Allgemeinen besonders, das kennt jeder. Meine Gedanken waren jedenfalls von allem anderen ganz und gar abgelenkt und völlig auf meinen Helm gerichtet; dort blieben sie auch Meile um Meile, stellten sich das Taschentuch vor, malten sich das Taschentuch aus, und es war bitter und unangenehm, wenn der salzige Schweiß mir ständig in die Augen rann und ich nicht an mein Taschentuch herankam. Auf dem Papier mag das wie eine Bagatelle wirken, aber es war überhaupt keine Kleinigkeit, sondern ein ganz unbestreitbar vorhandenes Übel. Ich würde es nicht behaupten, wenn es nicht wahr wäre. Das nächste Mal, so entschloss ich mich, würde ich eine Handtasche mitnehmen, ganz egal wie das aussah und was die Leute darüber reden würden. Natürlich würden es diese eisernen Tölpel von der Tafelrunde unmöglich finden und sich darüber aufregen; aber was mich betrifft, so kommt zuerst die Bequemlichkeit und danach die Eleganz. So trotteten wir weiter; streckenweise mussten wir über staubigen Boden reiten, wo wir Wolken von Staub aufwirbelten, die mir in die Nase stiegen, mich zum Niesen und Weinen brachten, und natürlich sagte ich Dinge, die ich besser nicht gesagt hätte, das leugne ich nicht. Ich bin nicht besser als andere. Wir waren anscheinend allein in diesem einsamen Britannien, nicht einmal ein Ungeheuer kreuzte unseren Weg, und in Anbetracht der Stimmung, in der ich mich befand, war das ein Glück für das Ungeheuer, besonders, wenn es ein Taschentuch bei sich gehabt hätte. Die meisten Ritter hätten nur daran gedacht, seine Rüstung zu erbeuten, aber wenn ich sein Schnupftuch bekam, konnte er von mir aus seinen Eisenkram behalten.

(Ausschnitt aus: Mark Twain – Ein Yankee am Hofe des Königs Artus; Insel Verlag)

 

Inhalt

Die Hauptperson, ein Yankee aus Connecticut, findet sich plötzlich im 6.Jahrhundert n. Ch. nach Britannien versetzt wieder und gelangt dort an den Hof König Artus und seiner Tafelritter. Anfangs muss er um sein Leben fürchten und rettet sich nur aufgrund einer Sonnenfinsternis. Doch nachdem er sich gerettet hat und zudem den Ränken Merlins entkommen ist, steigt er als Der Boss, dem zweithöchsten Staatsmann auf, direkt nach dem König – und beginnt sogleich mit der technischen sowie sozialen Erneuerung des Königreichs…

 

Biographie

Mark Twain, mit bürgerlichem Namen Samuel Langhorne Clemens, wurde am 30. November 1835 in Florida/Missouri geboren. Zuerst arbeitet er als Drucker für verschiedene Zeitungen, bis er nach dem Föderationskrieg zuerst Prospektor wird und im Zuge seiner Tätigkeit mit dem Verfassen von Berichten und Artikeln seine journalistische Laufbahn beginnt. 1864 nimmt er das Pseudonym Mark Twain an. In der Folgezeit unternimmt er sowohl Reisen nach Europa und in das Mittelmeergebiet und schreibt Reiseberichte als auch Roman, darunter seine Abenteuergeschichten von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. In der ersten Hälfte der 90er Jahre lebt er vorwiegend in Mitteleuropa (Deutschland, Frankreich, Italien) 1895-1896 hält er eine Vortragsreise auf der Südlichen Hemisphäre und besucht unter anderem Australien, Neuseeland sowie Südafrika. Im Folgejahr erscheint seinletzter Reisebericht Meine Reise um die Welt. 1910 stirbt Mark Twain in Redding/Connecticut.

 

Bewertung

Mark Twain gelingt es fantastisch, die Artus-Saga von Sir Malory mit modernen Ideen zu verflechten. Dabei kommen nicht nur lustige Situationen zustande, sondern er schildert auch die sozialen Missstände der Zeit in einer sehr ernüchternden Weise, so dass der Leser neben der amüsanten Unterhaltung und der Situationskomik immer wieder mit dem Aberglauben, den Gesetzen und anderen, die damalige Zeit prägende Zustände, konfrontiert wird. Dabei verlässt er nie die eigentliche Story der Artus-Saga, zudem karikiert er die Art und Weise der damaligen Heldengeschichten auf das Feinste. Einzig das Ende weicht von der Erzählweise vom Gesamtverlauf des Buchs ab. Alles in Allem ist dieses Buch eine sehr schön zu lesende Geschichte für Jung und Alt…