GALATER

Galater Kapitel 2 Teil I

Galater 2.1-5

Darnach über vierzehn Jahre zog ich abermals hinauf gen Jerusalem mit Barnabas, und nahm Titus auch mit mir. Ich zog aber hinauf aus einer Offenbarung, und besprach mich mit ihnen über dem Evangelium, das ich predige unter den Heiden; besonders aber mit denen, die das Ansehen hatten, auf dass ich nicht vergeblich liefe oder gelaufen hätte. Aber es ward auch Titus nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen, der mit mir war, ob er wohl ein Grieche war. Denn da etliche falsche Brüder sich mit eingedrungen, und neben eingeschlichen waren, zu verkundschaften unsere Freiheit, die wir haben in Christo Jesu, dass sie uns gefangen nähmen, wichen wir den selbigen nicht eine Stunde, untertan zu sein, auf dass die Wahrheit des Evangeliums bei euch bestünde.

 

Darnach über vierzehn Jahre. – Es ist kaum sicher festzustellen, ob die Apostelgeschichte 15.2 ff. erwähnte Reise gemeint ist; vielmehr weist der Zusammenhang eher auf ein anderes. Nach der Apostelgeschichte ist Paulus viermal nach Jerusalem gekommen. Über seine erste dortige Anwesenheit hörten wir schon (Galater1.18). Das zweite Mal war, als er die in den griechischen und asiatischen Gemeinden gesammelten Almosen mit Barnabas überbrachte (Apostelgeschichte 12.25). Mehreres bestimmt mich, die Stelle lieber auf diese Reise zu beziehen. Einmal würde im anderen Fall der eine Berichterstatter eine unrichtige Darstellung geben. Weiter empfiehlt es sich dringend, den Tadel, welchen Paulus über Petrus aussprach (Galater 2.11 ff.), in eine Zeit zu verlegen, als der erstere noch dauernd in Antiochia weilte. Das war aber der Fall, ehe er von den Gemeinden nach Jerusalem geschickt wurde, um den Streit über die Zeremonien zum Austrag zu bringen. Außerdem ist es nicht wohl denkbar, dass Petrus solche Heuchelei an den Tag gelegt hätte, wenn jene Streitfrage entschieden, und der Beschluss der Apostel (Apostelgeschichte 15.23 ff.) veröffentlicht gewesen wäre. Hier aber schreibt Paulus, er sei nach Jerusalem gekommen, und fügt bei, er habe die Heuchelei des Petrus getadelt. Petrus konnte aber nur so lange schwanken, als die Dinge noch zweifelhaft lagen. Außerdem hätte Paulus unmöglich von jener berühmten, im Auftrage der Gläubigen unternommenen Reise sprechen dürfen, ohne deren Anlass und denkwürdigen Ausgang zu berühren. Auch ist die Abfassungszeit des Briefes nicht genau bekannt. Die Griechen meinen, er sei in Rom geschrieben, die Lateiner in Ephesus. Ich glaube, dass er nicht nur geschrieben ward, bevor Paulus Rom gesehen hatte, sondern auch vor der Zusammenkunft der Apostel und ihrer Festsetzung über die Zeremonien. Wenn doch die Gegner fortwährend die Namen der Apostel missbrauchten, um Paulus herabzudrücken, und er hätte sich bereits auf jenen überall verbreiteten apostolischen Erlass berufen können, so wäre es ja ein unbegreiflicher Leichtsinn gewesen, davon zu schweigen! Das eine Wort hätte doch jeden Widerspruch niedergeschlagen: Ihr haltet mir die Apostel entgegen – nun kennt doch aber jedermann deren Urteilsspruch, aus dem hervorgeht, wie unverschämt ihr lügt! Im Namen der Apostel wollt ihr den Heiden ein bindendes Gesetzesjoch auflegen, während wir doch einen apostolischen Erlass in Händen haben, welcher die Gewissen vom Gesetz befreit! Endlich sei daran erinnert, dass Paulus im Anfange des Briefes (Galater 1.6) die Galater wegen ihres schnellen Abfalles vom Evangelium tadeln musste. Und dabei wird noch immer anzunehmen sein, dass seit ihrer Bekehrung schon einige Zeit vergangen war, ehe jener Streit über die Zeremonien aufgerührt wurde. Im Zusammenhange rechne ich die vierzehn Jahre nicht von einer Reise bis zur anderen, sondern lasse die Rechnung immer auf Pauli Bekehrung zurückgehen. So liegen elf Jahre zwischen den beiden Reisen.
[Anmerkung: Unter den heutigen Auslegern ist die Meinung vorherrschend, dass die in Galater 2 gemeinte Reise und die in Apostelgeschichte 15 erwähnte dieselben seien].

Ich zog aber hinauf aus einer Offenbarung. – Jetzt stützt Paulus sein Apostelamt und seine Lehre nicht mehr bloß auf seine Erfolge, sondern auch auf eine göttliche Offenbarung. Hat jene Reise, die zur Anerkennung der Lehre des Paulus dienen musste, unter Gottes Leitung stattgefunden, so kann er ja sich nicht bloß auf menschlichen Beifall berufen, sondern auf einen Spruch Gottes selbst. Dagegen konnte doch auch die hartnäckigste Berufung auf die Namen der Apostel nicht aufkommen. Wäre zuvor noch einige Ursache zum Streit gewesen, so musste jetzt, nachdem Gottes Meinung kund geworden, aller Streit ruhen.

Ich besprach mich mit ihnen. – Es war also eine gegenseitige Besprechung. Nicht schreiben jene vor, was er lehren müsse; sondern was er gelehrt hat, erzählt er, damit jene es unterschreiben und ihre Meinung beifügen. Weil aber die Gegner die Verleumdung vorbringen konnten, Paulus habe vieles kürzlich verschwiegen und so die Gunst der Apostel sich erschlichen, sagt er mit besonderem Nachdruck: ich habe das Evangelium zur Besprechung vorgelegt, das ich predige unter den Heiden. So muss jeder Verdacht auf Falschheit und Erschleichung schwinden. Wir werden sehen, was zuletzt folgt. Die Apostel haben ihm keine Vorwürfe gemacht, dass er ohne ihren Befehl sein Amt begonnen habe, sondern ohne Streit und Beschwerde bestätigt, was er getan hatte, und zwar unter dem Einfluss desselben Geistes, unter dessen Leitung Paulus zu ihnen gekommen war. Er wurde also nicht von ihnen zum Apostel gemacht, sondern als solcher anerkannt; aber dies nachher.

Auf dass ich nicht vergeblich liefe. – Fällt denn Gottes Wahrheit, wenn sie nicht durch das Zeugnis der Menschen gestützt wird? Nein, sondern wenn auch die ganze Welt ungetreu ist, so bleibt doch Gottes Wahrheit fest und unverkürzt; und die nach Gottes Auftrag das Evangelium verkündigen, wenden nicht vergebliche Mühe an, auch wenn sie keine Frucht von ihrer Arbeit ernten. Doch darauf zielen Pauli Worte nicht, sondern weil bei schwankenden und zweifelnden Gewissen das Amt des Wortes, was die Menschen anbetrifft, unnütz ist, so bedeutet „vergeblich laufen“ so viel wie unnütz arbeiten, wenn die erwartete Erbauung ausbleibt. Weiter war dies ein starkes Mittel zu Erschütterung der schwachen Gewissen, wenn die Betrüger logen, die von Paulus gepredigte Lehre sei der Lehre der Apostel entgegen. Dann mussten viele wankend werden. Die Gewissheit des Glaubens hängt zwar nicht von der Zustimmung der Menschen ab, vielmehr müssen wir so sicher ausruhen bei der bloßen Wahrheit Gottes, dass alle Menschen und Engel uns davon nicht abbringen können. Für die Anfänger aber und die, welche nur einen schwachen Geschmack von der heilsamen Lehre besitzen, ohne sie schon völlig in sich aufgenommen zu haben, ist die Versuchung kaum erträglich, wenn sie hören, dass die vorzüglichsten Lehrer unter sich uneinig sind. Ja sogar die Starken bringt Satan zuweilen durch dieses Kunststück zu Fall, wenn er auf die Uneinigkeit derer hinweist, für die sich einerlei Ansicht und Rede besonders geziemte. In unseren Tagen lässt sich kaum sagen, wie viele durch den unseligen Streit über den Leib Christi dem Evangelium fern gehalten, wie viele im Glauben erschüttert worden sind dadurch, dass sie sahen, wie Männer von höchstem Ansehen so feindselig über eine wichtige Lehre kämpften. Andererseits ist die Einhelligkeit aller Lehrer ein nicht geringes Hilfsmittel zur Stärkung des Glaubens. Weil nun Satan mit solcher List den Lauf des Evangeliums zu verhindern suchte, wollte ihm Paulus entgegen treten. Ließ sich nur klarstellen, dass er mit allen Aposteln in gutem Einvernehmen stand, so war jeder Anstoß gehoben; die Unerfahrenen brauchten nicht mehr ängstlich zu schwanken, wem sie folgen sollten. Das ist also die Meinung: Damit nicht die vorher getane Arbeit verloren ist, und ich weiter ohne Frucht fortfahre, habe ich jenem Bedenken ein Ende gemacht, das viele beunruhigte, ob sie mir oder dem Petrus Glauben schenken sollten; denn durch einmütiges Zusammenstimmen haben wir uns zu dem bekannt, was ich immer gelehrt hatte. Wenn heute die Erbauung vielen so am Herzen läge wie damals dem Paulus, so würden sie sich um die gegenseitige Übereinstimmung mehr kümmern.

Aber auch Titus. – Ein neuer Beweisgrund dafür, dass Paulus und die übrigen Apostel völlig zusammenstimmen. Denn als er einen unbeschnittenen Menschen zu ihnen geführt hatte, trugen sie kein Bedenken, denselben als Bruder anzuerkennen. Paulus gibt auch die Ursache an, weshalb die Beschneidung unterblieb: Es handelt sich in der Beschneidung um ein so genanntes „Mittelding“ (vergleiche zu 1. Korinther 8; auch Römer 14), welches man gebrauchen, aber auch unterlassen kann, je nachdem es im gegebenen Falle förderlich erscheint. Dabei gilt es stets, die Regel festzuhalten: Wenn wir auch dazu alle Macht haben, müssen wir doch sehen, was frommt (1. Korinther 10.23). Darum ließ Paulus den Timotheus beschneiden (Apostelgeschichte 16.3), damit nicht sein unbeschnittener Stand den Schwachen einen Anstoß böte; denn damals hatte er mit schwachen Gemütern zu tun, die er schonen musste. Und gern hätte er bei Titus dasselbe getan – so wenig wurde er jemals müde im Ertragen der Schwachen; aber die Verhältnisse lagen hier anders. Denn gewisse falsche Brüder warteten nur auf eine Gelegenheit, die Lehre des Paulus verleumden zu können, und würden sofort das Gerücht ausgestreut haben: Siehe, dieser kühne Verfechter der Freiheit lässt, wenn er den Aposteln unter Augen treten muss, alsbald seinen männlichen Geist und das Selbstbewusstsein fahren, das er bei den Unerfahrenen geltend macht. Demgemäß muss man freilich einerseits auf die Schwachen Rücksicht nehmen, andererseits aber böswilligen Menschen, welche darauf ausgehen, unsere Freiheit zu verkümmern, tapferen Widerstand leisten. Denn die Pflichten der Liebe dürfen dem Glauben nicht schaden. So wird die Liebe für die Behandlung der Mitteldinge uns immer den rechten Weg weisen, vorausgesetzt, dass wir vor allen Dingen den Glauben nicht außeracht lassen.

Denn da etliche falsche Brüder sich mit eingedrungen, und neben eingeschlichen waren, zu verkundschaften unsere Freiheit, die wir haben in Christo Jesu, dass sie uns gefangen nähmen. – Diese Sätze können doppelt verstanden werden. Entweder: Titus wurde nicht beschnitten, obgleich die falschen Brüder dies verkehrter Weise forderten und ihn beschneiden wollten. Oder: Paulus hat ihn auch ohnedies mit Absicht nicht beschneiden lassen, weil er sah, dass jene ihn in diesem Falle nur verleumden würden. Denn darum hatten sie sich in die Genossenschaft Pauli begeben, um eins von beiden erhaschen zu können. Hätte er frei die Zeremonien verachtet, so hätten sie der Juden Gehässigkeit gegen ihn erregt; wenn er aber von der Freiheit gar keinen Gebrauch machte, hätten sie sogleich bei den Heiden über ihn triumphiert, als hätte er reumütig seine Lehre zurückgezogen. Ich bin für die zweite Auslegung, dass Paulus, da er ihre List merkte, den Titus nicht beschneiden wollte. Aus den Worten, er sei nicht gezwungen worden, sollen die Leser erkennen, dass Paulus nicht die Beschneidung an sich verurteilt, als wäre sie ein übles Ding, sondern nur gegen die Notwendigkeit ihrer Beobachtung kämpft. Es ist als wollte er sagen: Ich wäre bereit gewesen ihn zu beschneiden, wenn hier nicht geradezu ein Entscheidungsfall vorgelegen hätte. Denn man wollte dem Apostel ein Gesetz aufbürden; und einem solchen Zwang durfte er nicht weichen.

Wir wichen denselbigen nicht eine Stunde. – Diese Standhaftigkeit war das Siegel auf die paulinische Lehre. Des Apostels unbeugsame Haltung in diesem Kampfe wider falsche Brüder, die nur einen Angriffspunkt wider seine Lehre suchten, beseitigte für die Zukunft jeden Zweifel. Jetzt kann man ihm nicht mehr nachreden, dass er vor den andern Aposteln etwas verheimlicht habe. Paulus ist den falschen Brüdern keinen Augenblick gewichen, ihnen untertan zu sein; so dass etwa seine Nachgiebigkeit zum Denkmal der unterdrückten Freiheit geworden wäre. In anderen Lagen ist er doch bis zuletzt in Sanftmut und Duldsamkeit gern jedermann untertan geworden.

Auf dass die Wahrheit des Evangeliums bei euch bestünde. – Es war keine Gefahr, dass Paulus seiner Freiheit beraubt würde, auch wenn er andere sich unterwarf; aber anderen hätte sein Beispiel geschadet. Er hat also klug überlegt, was nützlich wäre. So lernen wir hier einerseits, wie weit man Ärgernis meiden soll, andererseits dass bei den sogenannten Mitteldingen immer die Erbauung des Nächsten das letzte Ziel sein muss. Alles in allem: Wir sind der Brüder Knechte, jedoch mit dem Zweck, dass wir allesamt dem Herrn dienen, und den Gewissen ihre Freiheit unangefochten verbleibt. Die Wahrheit des Evangeliums bedeutet dessen volle und ungetrübte Reinheit. Denn die falschen Apostel schafften das Evangelium nicht völlig ab, sondern verunreinigten es mit ihren Zusätzen, sodass es halb und halb zu Trug und Menschengedicht wurde – wie es immer geschieht, wenn wir auch nur ein wenig von der Einfalt Christi abweichen. Es genügt also nicht, den Namen des Evangeliums und einen gewissen Bestandteil desselben festzuhalten, wenn nicht die Reinheit der Lehre völlig und unverkürzt bleibt. Nur das reine Evangelium sieht Paulus als wahr an.