RÖMER

Römer Kapitel 9 Teil III

Römer 9.10-13

Nicht allein aber ist´ s mit dem also, sondern auch, da Rebekka von dem einen, unserm Vater Isaak, schwanger ward: ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten – auf dass der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers – ward zu ihr gesagt: „Der Ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren.“ Wie denn geschrieben steht: „Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“

 

Nicht allein aber ist´ s mit dem also, sondern auch, da Rebekka von dem einen, unserm Vater Isaak, schwanger ward. – Die Rede ist, wie öfters in diesem Kapitel, in ihrer Form wiederum abgebrochen. Doch bleibt der Sinn klar: Ein verschiedenes Verhältnis zur Verheißung des Erbes lässt sich nicht bloß bei den Söhnen Abrahams beobachten, sondern noch deutlicher bei Jakob und Esau. Denn bei dem ersteren Falle ließe sich immerhin noch geltend machen, dass Isaak und Ismael nur Halbbrüder waren, und zwar der eine der Sohn einer Magd. Jakob und Esau dagegen waren volle Brüder, und sogar Zwillinge; und doch wird der eine vom Herrn verworfen, der andere angenommen. So muss ja wohl feststehen, dass die Verheißung nicht unterschiedslos allen leiblichen Kindern gilt.

Ehe die Kinder geboren waren. – Damit enthüllt Paulus den tiefsten Grund des Unterschieds, welchen er bisher nur festgestellt, aber nur sehr andeutungsweise erklärt hat. Dass unter den leiblichen Nachkommen Abrahams, welche doch alle durch die Beschneidung zur Genossenschaft des Bundes gehörten, dennoch nicht überall gleichmäßig die Gnade Gottes sich wirksam zeigte, liegt an der freien, von menschlichen Einflüssen gänzlich unabhängigen Erwählung Gottes. Ein höherer Grund für die Errettung der Frommen und das Verderben der Verworfenen, als auf der einen Seite Gottes Güte und auf der andern Seine strenge Gerechtigkeit, lässt sich nicht finden. Als erster Satz muss also feststehen: Wie die Auswahl des Volkes Israel aus allen übrigen Völkern lediglich auf dem Segen des Bundes Gottes beruhte, ganz ebenso macht Gottes Erwählung auch zwischen den einzelnen Gliedern dieses Volkes einen Unterschied – die einen bestimmt Er zur Seligkeit, die andern zur ewigen Verdammnis. Der zweite Satz lautet: Dieser Erwählung Grund ist lediglich Gottes Güte, die sich nach Adams Fall erbarmend herablässt und jede Rücksicht auf Werke annimmt, welche sie will. Drittens wird behauptet: Der Herr ist in Seiner erwählenden Gnade frei und nicht daran gebunden, dass Er sie allen Menschen gleicherweise mitteilen müsse. Vielmehr übergeht Gott, welchen Er will, und nimmt zu Gnaden auf, welchen Er will. Das alles liegt in den knappen Worten des Apostels. Dabei erinnern die Worte „und weder Gutes noch Böses getan hatten“ ausdrücklich daran, dass Gott, da Er einen Unterschied machte, die Werke, die noch gar nicht vorlagen, tatsächlich nicht in Betracht ziehen konnte. Freilich sagen demgegenüber manche Ausleger, dass die Erwählung doch auf das Verdienst der Werke Rücksicht nehmen könne, insofern ja Gott voraussieht, wie die Menschen sich verhalten, und ob sie also Seiner Gnade wert oder unwert sein werden. Aber diese Ausleger, die ja nun doch wohl nicht scharfsichtiger sind als Paulus selbst, setzen sich in Widerspruch mit einem der allerersten und selbstverständlichsten Grundsätze der Theologie, dass nämlich Gott bei der verderbten menschlichen Natur, wie sie sich in Jakob und Esau gleicherweise vorfand, überhaupt nichts entdecken konnte, was Ihn zur Gnade hätte zwingen müssen. Wenn es heißt, sie hätten beide weder Gutes noch Böses getan, so steht dahinter doch die Voraussetzung: Sie waren aber beide Adams Kinder, von Natur Sünder, und sie hatten beide keinen Schimmer von Gerechtigkeit aufzuweisen. Es wird ganz vergeblich sein, diese klare Meinung des Apostels mit oberflächlichen Redereien zu verdunkeln. Wenn die Erbsünde, noch ehe sie eine Tatsünde aus sich heraussetzt, hinreicht, um einem Menschen die Verdammnis zu bereiten, so folgt daraus, dass Esau ganz mit Recht verworfen wurde, denn er war von Natur ein Kind des Zornes. Auf diesem Hintergrunde betont nun Paulus die volle Freiheit der göttlichen Erwählung: Auf dass der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl. Mit jedem Wort betont Paulus die gnädige Erwählung Gottes. Gegen jegliches Verdienst der Werke steht Gottes Vorsatz, der allein auf Seinem Wohlgefallen ruht. Und um auch den letzten Zweifel zu beseitigen, wird hinzugefügt: Nach der Wahl. Endlich zur vollsten Verdeutlichung des Tatbestandes:

Nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers. – Die Erwählung muss sich ja wohl auf Gottes freien Vorsatz gründen, weil von den Brüdern der eine verworfen, der andere angenommen wird, und weil dies geschieht, noch ehe sie geboren wurden und etwas Gutes oder Böses tun konnten. Wer also den Grund des Unterschiedes irgendwie noch in den Werken suchen will, muss schon wider Gottes Vorsatz ankämpfen. Paulus will jede Rücksicht auf die Werke ausgeschlossen wissen. Deshalb erinnert er ausdrücklich noch an die Gnade des Berufers. Hier liegt der alleinige Grund der Erwählung, nicht in den Werken. Gottes Vorsatz allein macht unsere Erwählung fest. Ein Verdienst könnte nur insofern in Betracht kommen, als wir den Tod verdienen. Auf unsere Würdigkeit sieht Gott nicht, weil sie nicht existiert. Gottes freie Gnade allein führt das Regiment. Die Lehre, dass Gott die Menschen erwählt oder verwirft, je nachdem er voraussieht, ob jemand seiner Gnade würdig oder unwürdig sein werde, ist falsch und dem Worte Gottes zuwider.

„Der Ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren.“ – Welcher Unterschied zwischen Isaaks Kindern, die doch noch im Mutterleibe verborgen sind! So verkündet es der Spruch Gottes: Gott will dem Jüngeren Seine besondere Gunst zuwenden, die Er dem Älteren entzieht. Freilich bezog sich dieser Spruch zunächst auf das Recht der Erstgeburt; aber eben darin lag ja ein Hinweis auf ein Größeres, und darin wurde Gottes Wille kund. Das ersieht man ganz besonders deutlich, wenn man bedenkt, wie wenig doch eigentlich das Erstgeburtsrecht dem Jakob äußerlich genützt hat. Um desselben willen gerät er in die äußerste Gefahr und vermag sich nur dadurch zu retten, dass er Vaterhaus und Vaterland verlässt. In der Fremde erfährt er die unmenschlichste Behandlung. Als er zurückgekehrt, muss er sich voller Furcht und Sorge um sein Leben dem Bruder zu Füßen werfen und demütig seine Verzeihung erbitten; und er lebt nur von dieser Vergebung. Wo ist die Herrschaft über den Bruder, von dessen gutem Willen sein Leben doch abhängt? Das Vorzugsrecht, welches Gottes Spruch verheißen hatte, lag also noch auf einer andern Höhe.

Wie denn geschrieben steht: „Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“ – Dieses noch deutlichere Schriftzeugnis beweist, dass Gottes Spruch an Rebekka allerdings mit Recht hier beigebracht werden konnte. Dass Jakob herrschen und Esau dienen sollte, war nur eine eigenartige Ausdrucksweise für die geistliche Stellung der beiden Brüder. Und Jakob war in den Gnadenstand ohne sein Verdienst, durch Gottes Güte, aufgenommen worden. Unser Prophetenspruch zeigt also den Grund an, weshalb der Herr dem Jakob das Erstgeburtsrecht übertrug. Er stammt aus Maleachi 1.2-3. Dort will der Herr den Juden ihre Undankbarkeit vorwerfen und erinnert sie an Seine früheren Wohltaten. Er ruft ihnen zu: Ich habe euch geliebt. Und Er fügt bei, wann diese Liebe ihren Anfang genommen: Ist nicht Jakob Esaus Bruder? Gott will sagen: Was hatte er denn für einen Vorzug, dass Ich ihn seinem Bruder vorziehen musste? Gar keinen! Beide besaßen den gleichen Anspruch. Höchstens, dass nach dem Rechte der Natur der Jüngere hinter dem Erstgeborenen gar noch hätte zurückstehen müssen! Ich aber habe jenen angenommen und diesen verworfen. Allein meine Erbarmung hat mich dabei geleitet, nicht der Blick auf Werke. Und nun hatte ich mit der gleichen Erbarmung Jakobs Samen getragen und euch zu meinem Volke gemacht: Die Edomiter aber, die Nachkommen Esaus, hatte ich verworfen. Also seid ihr umso verdammenswerter, weil die Erinnerung an solche Gnade euch noch nicht zu reizen vermag, mein göttliches Wesen zu verehren! Freilich werden an dieser Stelle auch die irdischen Segnungen erwähnt, mit welchen Gott das Volk Israel bedacht hatte; aber das alles will doch nur als ein Zeichen jener ewigen Gnade verstanden sein. Denn wo Gottes Zorn ist, da ist der Tod, wo Seine Liebe, da ist das Leben.